Wie viele Redaktionen gibt es, in der keiner seiner Schüler sitzt? Wolf Schneider ist der Journalist, der den deutschen Journalismus geprägt hat wie kein anderer – mit seinen mehr als 30 Büchern, mit seinen Sprachkolumnen, und dank der vielen jungen Journalistinnen und Journalisten, die er in der Hamburger Journalistenschule (die später Henri-Nannen-Schule hieß) 18 Monate lang trimmte, bis sie ihn hassten oder verehrten.
Ich war gerade dabei, ihm eine lange Mail zu schreiben, als mich die Nachricht von seinem Tod erreichte. In dieser Mail habe ich Kommentare von begeisterten Leuten (ich vermute sehr jungen Leuten) aufgelistet, die sich unter den Tutorials sammeln, mit denen er auf der Plattform TikTok wirbt für schönes Deutsch; auf einer Plattform also, auf der vor allem durch Lippen – und Brustoperationen optimierte junge Frauen zu beliebten Songs gekonnt tanzen.
„Ich mag die Art, wie er redet.“ – „Wir brauchen mehr von ihm!“ – „Bester Deutschlehrer, der jemals existieren wird.“ – „Du hast so recht, du sprichst mir aus der Seele.“ Und Sara, wahrscheinlich nicht mal 18 Jahre alt, schrieb: „Ich lieb ihn!“ Über drei Millionen Leute haben sich innerhalb von drei Wochen seine kleinen Videos angeschaut, über 300.000 von ihnen haben ihm ein Herzchen zugeworfen.
Als wir bei ihm waren, um die Videos zu drehen, scherzte er, „toll, so werde ich ja unsterblich.“ Seine Liebe zur deutschen Sprache hat Wolf Schneider in viele Regeln gepackt, die es jedem möglich machen, den gröbsten Blödsinn zu vermeiden. Er schafft es, viele Verbotsschilder in den Hirnen seiner Leser zu hinterlassen, auch viele Gebotschilder.
Wenn wir ihm, damals seine Schüler, Texte schickten zur Begutachtung, kamen sie zurück mit unerbittlichen Kommentaren: „Bäh!“ und „Ist das Ihr Ernst?“ waren die freundlichsten; „Fangen Sie noch mal von vorne an!“ und „Denken Sie über ihre Berufswahl nach!“ waren nicht die schlimmsten. Von Schneider kritisiert zu werden, war für mich und für viele andere der Ansporn, ihm das Maul zu stopfen.
Was mich ein Leben lang verfolgt hat – sein Befehl: „Gehen Sie als Journalist nie im T-Shirt zu einem Gesprächspartner, das ist ein amerikanisches Unterhemd, verdammt noch mal!“ So hat er uns auch mit Regeln versorgt, an die wir uns nie gehalten haben.
Als Dolmetscher bei der US Army lernte er nach Kriegsende das amerikanische Unterhemd kennen; als Volontär bei der „Neuen Zeitung“, einem Blatt der US-Militärregierung, näherte er sich dem Journalismus. Als „AP“-Redakteur, „SZ“-Korrespondent in Washington, Chef vom Dienst beim „stern“, „Welt“-Chefredakteur machte er Karriere, bevor er 1979 für 16 Jahre Leiter der Hamburger Journalistenschule wurde. Sein Credo der Ausbildung, später als Spruch über der Tür des Seminarraumes platziert: „Qualität kommt von Qual“.
Vor einigen Monaten, als neue Erkenntnisse über Nazi-Aktivitäten Henri Nannens bekannt wurden und Zweifel aufkamen, ob die Journalistenschule weiter dessen Namen tragen sollte, rief Wolf Schneider mich an und bat um Unterstützung dafür, dass die Leistung des Blattmachers Nannen doch seine Verfehlungen vor 1945 bei weitem überrage.
Mein Vorschlag damals, an seinem Todestag erneuert: Mit einer Wolf- Schneider-Journalistenschule macht man den Mann, dem der Journalismus in Deutschland viel verdankt, unsterblich.
Cordt Schnibben, Schüler von Wolf Schneider, Reporter bei „DIE Zeit“ und „DER SPIEGEL“, leitet jetzt die Web-Akademie „Reporterfabrik“